15. Oktober 2018. Akuten Wettbewerbsnachteil für Standort Deutschland beseitigen, Verfahren zur Erhebung der Einfuhrumsatzsteuer an EU-Standard angleichen
Gemeinsames Informationspapier von ACD, ADV, BDI, BDL, BGA, BIEK, BWVL, DStV, DIHK, DSLV, DVF, HDE, IHK Bremen, HK Hamburg, IHK Nord, IHK Hessen, IHK NWR, IATA, Köln Bonn Airport, Kompetenznetz Logistik NRW, Logistikregion Rheinland, VDR, VDV, VCI, Verband Deutscher Schiffsausrüster e.V., VHSp, VVWL NRW, ZDS, ZVDS
Bei der Einfuhr von Gütern nach Deutschland verursacht das in Deutschland angewandte Verfahren zur Erhebung der Einfuhrumsatzsteuer eine unnötige Bindung von Liquidität und damit erhöhte Kosten für Importeure, die in den EU-Nachbarstaaten nicht anfallen. Importeure nutzen daher verstärkt Seehäfen und Flughäfen in EU-Nachbarstaaten. Das wiederum führt dazu, dass Logistikzentren sowie Niederlassungen von Dienstleistern und weiterverarbeitenden Unternehmen verstärkt im EU-Ausland und nicht in Deutschland angesiedelt werden. Das Steuererhebungsverfahren führt zur Verlagerung von Arbeitsplätzen und damit verbundenen Steuereinnahmen ins Ausland und zu steueroptimierten, statt verkehrseffizienten Güterströmen.
Hintergrund
Nach Artikel 211 der EU-Mehrwertsteuer-Systemrichtlinie 2006/112/EG können die Mitgliedstaaten Erleichterungen bei der Erhebung der Einfuhrumsatzsteuer dahingehend gewähren, dass die Einfuhrumsatzsteuer nicht bereits zum Zeitpunkt der Wareneinfuhr zu entrichten ist, sondern erst im Zuge der Umsatzsteuer-Voranmeldung verrechnet wird. Hiervon machen praktisch alle EU-Mitgliedstaaten Gebrauch, während solche Erleichterungen in Deutschland bisher nicht gewährt werden[1].
Beispiel
In Deutschland muss ein Unternehmen bei der Einfuhr von Drittlandswaren in das Gemeinschaftsgebiet über eine deutsche Zollgrenzstelle in jedem Fall die Einfuhrumsatzsteuer beim Zoll entrichten. Im weit überwiegenden Regelfall wird sie anschließend als abzugsfähige Vorsteuer im Rahmen der Umsatzsteuer- Voranmeldung berücksichtigt und durch die Landesfinanzverwaltung oft erst Wochen oder Monate später erstattet. Das Unternehmen muss zunächst erhebliche Zahlungen leisten und dann einen Antrag auf Erstattung stellen. Dies führt zu Abfluss von Liquidität, Kosten für die Zwischenfinanzierung und zu Bürokratiekosten für das Erstattungsprozedere.
Dagegen kann ein deutscher Importeur Einfuhren aus dem EU-Ausland z.B. über die niederländische Grenze unter Einschaltung eines niederländischen Fiskalvertreters ohne nennenswerte Kosten und ohne Entrichtung der Einfuhrumsatzsteuer vornehmen. So geht die zu entrichtende Einfuhrumsatzsteuer lediglich in die Umsatzsteuer-Voranmeldung ein und kann sofort als Vorsteuer abgezogen werden. Die Liquidität bleibt beim Unternehmen. Etwaige höhere Kosten des Transports und der Fiskalvertretung stellen im Vergleich zum Import über deutsche See- und Flughäfen eine geringere Belastung dar als die Kosten der Zwischenfinanzierung der Einfuhrumsatzsteuer und des korrespondierenden administrativen Aufwands in Deutschland.
Die niederländischen und belgischen Flughäfen und Seehäfen werben ganz offensiv und erfolgreich auf Veranstaltungen bei Importeuren und Spediteuren mit diesem Verfahren.
Wettbewerbsnachteil für die deutsche Wirtschaft und für den Fiskus
Angesichts der 2017 vereinnahmten rd. 55,9 Mrd. Euro Einfuhrumsatzsteuer dürften der Aufwand und die Kosten für die deutschen Unternehmen erheblich und damit der Wettbewerbsnachteil gravierend sein. Nicht außer Acht gelassen werden dürfen auch die teilweise beträchtlichen Probleme von Unternehmen und Existenzgründern hinsichtlich Kapitalbindung und Kreditbeschaffung. Dies betrifft insbesondere kleine und mittelständische Unternehmen aus dem Verkehrs- und Logistiksektor (Luft, Schiene, Straße, Wasser) sowie die hiermit unmittelbar im Zusammenhang stehenden Dienstleistungen (Im-/Export). Die Auswirkungen des bestehenden Erhebungsverfahrens sind umso signifikanter, je teurer die importierten Güter sind, je schwieriger die Refinanzierung wird und je höher das Zinsniveau und der administrative Aufwand sind. Und auch der deutsche Fiskus verliert, nämlich anteilige Zolleinnahmen, die bei einer Einfuhr über Deutschland anfallen würden, sowie sonstige Steuereinnahmen (z. B. Gewerbesteuer, Lohnsteuer, Umsatzsteuer), die aufgrund der zunehmenden Ansiedlung von Logistikzentren im Ausland als Steuersubstrat Deutschland entzogen werden.
Politische Einigkeit zum weiteren Vorgehen
Breit über die Parteigrenzen hinweg wird eine Änderung bei der Handhabung der Einfuhrumsatzsteuer gefordert. Bereits im Juni 2014 hatten die Wirtschaftsminister aller Bundesländer die Bundesregierung einstimmig gebeten, Möglichkeiten für eine Neugestaltung/Verbesserung des Verfahrens zur Einfuhrumsatzsteuererhebung zu prüfen. Der Deutsche Bundestag hat am 30. März 2017 mit der Mehrheit von CDU/CSU und SPD die Bundesregierung ausdrücklich dazu aufgefordert, das Verfahren zur Erhebung der Einfuhrumsatzsteuer zu verbessern (Drs. 18/11725). Der Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD vom 7. Februar 2018 legt fest, dass die Bundesregierung das Verfahren in Kooperation mit den Bundesländern optimieren wird. Vertreter der Finanzministerien von Bundesländern und des Bundes haben in einem Gespräch mit Bundesverbänden und Kammern am 25. Juni 2018 im Bundesfinanzministerium in Berlin ihre Bereitschaft für Veränderungen signalisiert.
Lösung: Verrechnungsmodell
Die auf Bestreben der Wirtschaftsministerkonferenz eingerichtete Arbeitsgruppe von Bund und Ländern hat das „Verrechnungsmodell“ als umfassendsten Lösungsansatz identifiziert. Vorsteuerabzugsberechtigte Unternehmen würden die fällige Einfuhrumsatzsteuer nicht mehr unmittelbar an den Zoll entrichten, sondern in der Umsatzsteuer-Voranmeldung anmelden und zugleich in der selben Umsatzsteuer-Voranmeldung als Vorsteuer abziehen, so dass es zu keinem Zahlungsfluss kommt. Einige der von der Arbeitsgruppe benannten Voraussetzungen für das Verrechnungsmodell sind bereits gegeben: Eine IT-Schnittstelle zwischen Zoll-und Steuerverwaltung ist über das Verfahren OZEAN (Online-Zugriff der Finanzverwaltung auf Ein-/Ausfuhr-Daten) bereits im Aufbau bzw. schon geschaffen; ohnehin müssen die Finanzverwaltungen im Rahmen der im Unionszollkodex (UZK) vorgesehenen Zentralen Zollabwicklung entsprechende IT-Schnittstellen aufbauen. Auch liegt eine erste umfassende Würdigung der verfassungsrechtlichen Aspekte vor. Maßnahmen zur Schaffung der weiteren Voraussetzungen zur Optimierung des Einfuhrumsatzsteuererhebungsverfahrens sollten daher umgehend eingeleitet werden.
Was die Politik tun kann
Es besteht dringender Handlungsbedarf bei Bund und Ländern, um die seit Jahren bestehenden Wettbewerbsnachteile der deutschen Flughäfen und Seehäfen in diesem Bereich zu beseitigen, die Liquidität der Unternehmen und dabei gerade auch die der Existenzgründer zu schonen sowie die Kosten für deutsche Importeure zu senken. Wichtig ist, dass neben dem Güterumschlag auch die Wertschöpfung in Deutschland verbleibt.
Bund und Länder müssen schnellstmöglich die akuten Wettbewerbsnachteile der deutschen Wirtschaft bei der Erhebung der Einfuhrumsatzsteuer beseitigen. Die Einfuhrumsatzsteuer sollte nicht bereits zum Zeitpunkt der Wareneinfuhr zu entrichten sein, sondern – wie in Artikel 211 der EU-Mehrwertsteuer-Systemrichtlinie 2006/112/EG ausdrücklich vorgesehen – bei der Umsatzsteuer-Voranmeldung direkt verrechnet werden können. Bis zum Ende des Jahres 2019 sollten alle notwendigen Maßnahmen eingeleitet und umgesetzt sein.
[1] Nur Griechenland, Großbritannien, Irland, Italien und Zypern schöpfen neben Deutschland die Möglichkeiten der Richtlinie nicht aus.